Ein geistiger Amoklauf in der US-Psychiatrie

Ein geistiger Amoklauf in der US-Psychiatrie

Fundgrube der PsychiatrieMan kann es nicht anders bezeichnen, den Blogtext von Thomas Insel, Direktor des US-Nationalen Instituts für mentale Gesundheit (NIHM), es ist ein geistiger Amoklauf.  Er bezeichnet das gut etablierte US-Handbuch für psychische Krankheiten – ein weltweit anerkannter Leitfaden zu Diagnostizierung von psychischen Krankheiten – als „im besten Fall ein Wörterbuch“.  Kern der  Kritik ist, dass die Krankheiten nicht nach objektiven Kriterien sondern anhand einer Sammlung von Symptomen definiert würden. Vielmehr sollte man Krankheiten über ihre Ursachen  bestimmen können. Sein Institut arbeite seit 2010 daran – und wird, meiner Meinung nach, noch die nächsten 100 Jahre daran arbeiten. Denn hierbei handelt es sich um ein Wahnsinnsvorhaben! Erkenntnisse aus der Biologie, Genetik und den Neurowissenschaften sollen einbezogen werden, wie es in der Pressemeldung heisst (NZZ, 8.5.2013, S.22) und so – meine Beurteilung – zu einer umfassenderen Erleuchtung beitragen. Dabei wird Schizophrenie erwähnt, die – ich zitiere aus der Meldung – «womöglich verschiedene biologische Ursachen hat». Ja, was denn sonst? Wer sich auch nur ansatzweise aus der klinisch-medizinischen Sichtweise lösen kann wird unschwer feststellen, dass Schizophrenie ein Konglomerat (Fachsprache: komorbid), von verschiedensten Ursachen ist: Vererbung, genetische Fehlfunktionen, traumatische Erlebnisse,  epigenetischer Aktionismus in den Zellen  sind nur eine kleinere Auswahl. Das heisst einerseits, dass die Ursachenbestimmung ausserordentlich schwierig ist und je nach therapeutischem Milieu und Methodenwahl auch anders ausfällt. Das zieht  eine spezifische Ursachenforschung nach sich und heisst damit anderseits, dass sehr sorgfältig die akuten Erscheinungsformen, die Genese der Störung und die Anamnese in das Behandlungsdispositiv einbezogen werden muss.  Schön wäre es, wenn die Ursachen als Leitmotiv einer Erkrankung eindeutig erfasst würden, aber dies dürfte ein unerreichbares Ideal sein. Dafür, dass die lieben Kolleginnen und Kollegen des Direktors des US-Nationalen Instituts für mentale Gesundheit  aus der Not eine Tugend machen und mit dem Weiterentwickeln des Handbuchs DSM-5 sich einer akribischen Symptombeschreibung widmen, sollte man ihre Arbeit nicht noch verunglimpfen.

Alois Altenweger