26 Juil Wahlschicksal
Wahlschicksal
«Welche Instanz hat nun die Kraft, an Stelle des Zwangsschicksals ein freien Wahlschicksal zu wählen?
Diese Instanz im Menschen ist u.E. das Pontifex-Ich, mit anderen Worten die die bewusstgemachten Gegensätzlichkeiten überbrückenden Funktionen des Ichs.
Um ein freies Wahlschicksal bewusst aufbauen zu können, muss das Ich folgende Funktionen ausüben:
Erstens: die Integration.
Das heisst, es muss alle seine Elementarfunktionen souverän beherrschen und lenken. Psychologisch bedeutet dies, dass das Ich die verschiedenen Ahnenansprüche, welche es bisher unbewusst suchend in die Welt hinausverlegte (Projektion), nun bewusst macht (Inflation), sie mit dem Massstab der Realität prüft und – falls eine von den vielen ererbten Existenzmöglichkeiten ihm die Chance eines besseren Schicksals verspricht, diese bejaht, einverleibt (Introjektion) und das bisher gelebte Zwangsschicksal – sei es eine Sexualabnormität, ein Affekt-, Ich- oder Kontaktneurose oder sogar eine Präpsychose – verneint (Negation).
Zweitens: Die Transzendenz
Das Ich muss zum Geist transzendieren können. Es muss die Verbindung mit einer überpersönlichen Idee (wie Humanität, Kunst, Wissenschaft oder Religion) suchen und die allmenschliche Glaubensfunktion aktivieren.
Drittens: die geistige Partizipation
Das Ich muss mit dieser höheren Idee auf die Dauer eins sein, d.h. partizipieren können.
Integration, Transzendenz und überpersönliche, ideelle Partizipation geben dem Ich jene Kraft, mit der es ein Zwangsschicksal zu verneinen und unter den bewusstgemachten familiären Schicksalsmöglichkeiten sein eigenes humanes Schicksal frei wählt und hernach lebt.»
Quelle: Szondi, L.: Freiheit und Zwang im Schicksal des Einzelnen, S. 33/34