Menschenwürde und Scham

Menschenwürde und Scham

Eine literarische Beschreibung der Scham gibt Salman Rushdie im Roman „Scham und Schande“: „Stellen Sie sich Scham als eine Flüssigkeit vor, sagen wir als ein süßes Getränk, das aus Automaten gezogen wird. Sie drücken den richtigen Knopf, und ein Becher plumpst unter einen pissenden Strahl der Flüssigkeit.“

Was aber passiert, wenn zuviel Scham da ist? Oder wenn der Becher zu klein ist? Wenn mehr Scham da ist, als das Gefäß aufnehmen kann? Kein Problem, schreibt Rushdie. Viele Kulturen und Subkulturen haben Vorsorge für diesen Fall getroffen: Sie haben eine Gruppe ausgesucht, deren Aufgabe ist es, die Scham die keiner will (die Scham die Zuviel ist, die Scham zu der sich keiner bekennt) aufzuwischen, aufzusaugen, zu verkörpern. Und wir haben keine gute Meinung von ‚diesen Leuten’, daher werden sie ausgegrenzt, gemieden.

In hinduistischen Gesellschaften zum Beispiel sind dies die Parias, die ‚Unberührbaren’, die so sehr die Schande einer Gesellschaft sind, dass nicht einmal der Schatten eines Parias auf einen ‚richtigen’ Menschen fallen darf. In Peru etwa sind dies die Hochlandbauern, die als Abschaum der Gesellschaft gelten. Sie gelten als diejenigen, die den Dreck, die Kriminalität, in die Küstenstädte herunterbringen. Im Nationalsozialismus waren die Juden eine solche Gruppe. So haben viele Kulturen – auch viele Gruppen, Schulklassen, Teams oder Organisationen – ihre Methode, Scham zu entsorgen, indem eine Teilgruppe ausgegrenzt wird. Das Problem dabei ist, dass damit auch die positive Funktion der Scham entsorgt wird: Nämlich ihre Aufgabe, die Würde des Menschen zu behüten. English to Russian Daher halte ich es für notwendig, die Scham aus der Tabu-Zone, aus der „Schmuddel-Ecke“, zu befreien. k12 domain Sie zu einem Thema zu machen und anzuschauen.

Zurück zu Salman Rushdies Roman. Der Autor schildert weiter, wie die Scham der Eltern in die Seele des Kindes abgefüllt wird. Eine Geburt: Der Vater, Patriarch und Militarist, reagiert voller Wut auf die Nachricht, dass sein Erstgeborenes „nur“ ein Mädchen ist. Daraufhin errötete das Baby. Gleich bei seiner Geburt schämte es sich. Das Mädchen wächst heran, geistig behindert, und wird schließlich zur Mörderin.