Das kosmische Unbewusste – die vierte Dimension des Unbewussten

Das kosmische Unbewusste – die vierte Dimension des Unbewussten

Bis vor noch nicht allzu langer Zeit haben sich Tiefenpsychologen mit dem Drei-Qualitäten-Modell des Unbewussten nach Freud, Jung und Szondi zufrieden gegeben. Bioenergetische Überlegungen führen jedoch zu starken Zweifeln an der These der ausschliesslichen biologischen Vererbung und der Platzierung von allem und jedem unbewussten Material in den Genen. An dieser Stelle sei hier die These aufgenommen, dass ein allumfassendes Unbewusstes, ein kosmisches Unbewusstes, existieren muss, um die von den drei Grossmeistern der Tiefenpsychologie postulierten Ahnen, Archetypen und persönlich Verdrängtem unterbringen zu können.

Es bestehen Traumelemente, die als psychische Muster – hypothetisch im Gedächtnis – eingelagert sind und im Traum dann als „Geschichten“ inhaltliche Aussagen machen. Bei Jung sind dies die Archetypen, die – ich zitiere Jolande Jacobi – «nach Jung eine strukturelle Bedingung der Psyche darstellen, die unter einer gewissen Konstellation (innerer und äusserer Natur) die gleichen ‚Gestaltungen‘ hervorzubringen imstande ist, was rein gar nichts mit Vererbung von bestimmten Bildern zu tun hat; (…) sie sind ‚vererbt‘ nur in dem Sinne, als die Struktur der Psyche, wie sie ist, ein allgemein menschliches Erbgut vergegenwärtigt und die Fähigkeit in sich trägt, sich in bestimmten spezifischen Formen zu äussern. (…) Es soll darum besonders betont werden, dass es sich bei den Archetypen nicht um vererbte Vorstellungen handelt, sondern um vererbte Möglichkeiten von Vorstellungen» (Jacobi, „Komplex, Archetypus, Symbol“, Rascher 1957). Bei Jung werden also Gestaltungsvorschriften oder Algorithmen in Form von Archetypen vererbt, aber diese sind keine spezifischen Inhalte.

Auch Freud beschäftigt sich mit dem Problem, «dass Sprachgebrauch, Mythologie und Folklore die reichlichsten Analogien zu dem Traumsymbolen erhalten. Die Symbole, an welche sich die interessantesten, noch ungelösten Probleme knüpfen, scheinen ein Stück uralten, seelischen Erbgutes zu sein.» (GW, Bd. XI, S. 208) Der Begriff vom uralten seelischen Erbgut ist zwar schön, sagt aber nichts über den Speicherort und die Speichermethode der Erbinhalte aus.

Wenn also nur Teile des Traummaterials genetisch gespeichert sind – um dies als These mal anzunehmen – dann muss es einen Ort geben, der einen Teil, wahrscheinlich den überwiegenden, des Traummaterials beinhaltet.  Diese Örtlichkeit nenne ich hypothetisch «Cloud», um damit einen Begriff aus der modernen Kommunikationstechnik aufzugreifen. Eine diskutierte These ist, dass diese «Cloud» oder Wolke in Form eines bioenergetischen Feldes existiert, in dem alles Wissen und Geschehen der Menschheit seit Anbeginn der Existenz gespeichert worden ist.  Dieses bioenergetische Feld wäre dann das von mir postulierte «kosmische Unbewusste», quasi ein Behälter in dem Material eingefüllt und aus dem  Traummaterial wahlweise bezogen werden kann.

Herkömmliche Auffassung über die Struktur des Unbewussten

Das Unbewusste als tiefenpsychologische Instanz wurde von den «klassischen» Tiefenpsychologen nach Herkunft gegliedert, aber kaum geordnet in einem archivarischen Sinn.

So wird nach Freud das Persönliche Unbewusste als «das Unbewusste» festgelegt.

Freud beschreibt das System des Unbewussten als einen grossen Vorraum, «in dem sich seelische Regungen wie Einzelwesen tummeln.» Dieser Vorraum wird durch einen zweiten, engeren Raum, eine Art Salon ergänzt, sagt Freud,  «in welchem auch das Bewusstsein verweilt.»   Sehr plastisch erzählt er weiter, fast wie bei Kafka, dass zwischen diesen beiden Räumen ein Wächter seines Amtes walte, «der die einzelnen Seelenregungen mustert, zensuriert und sie nicht in den Salon einlässt, wenn sie sein Missfallen erregen.»(19. Vorlesung, III. Teil Neurosenlehre, «Verdrängung und Widerstand» GW Band XI)

Gehen wir weiter in der gängigen Strukturierung des Unbewussten, dann kommen wir zum

Familiären Unbewussten nach L. Szondi.

Ich zitiere hier Leopold Szondi: «Das familiäre Unbewusste ist derjenige Teil des ‚Kerns des Unbewussten‘, in die Ahnenansprüche, Ahnenbilder, Ahnenfiguren, also familiäre (und nicht persönliche oder kollektive) Genotypen im Zustand der Latenz vorhanden sind und im Leben der Nachkommen nach Manifestationen streben. Wir lokalisieren das familiäre Unbewusste im (DNA)-Kernsystem, d.h. in den Chromosomen, in den Genen der Zellen. Es bedingt somit das Erb- oder Zwangsschicksal der Person.» (Schicksalsanalytische Therapie, S.31)

Bei Szondi wird das Unbewusste klar biologisch geortet: es ist in den Genen und nicht wo anderes.  Deren Inhalte, sofern sie die von Szondi postulierten Ahnenansprüche umfassen, sind unbewusst. Die Unbewusstheit gilt selbstverständlich nicht für die durch Gene fixierten körperlichen Funktionen des Menschen. Nur: die Gene als Organisatoren der Triebbedürfnisse werden bei Szondi pauschal als Quelle genannt, weil er der Ansicht war, dass das Erleben der Ahnen, seien es traumatische Ereignisse, Lebenserfahrungen oder Krankheiten, mittels Vererbung weitergegeben wird. Nachdem Szondi empirisch die Existenz von Ahnen und deren Ansprüche durch seinen Test, durch Stammbaumforschungen und durch Traumanalysen erhärten konnte, blieb ihm als biologische Grundlage nur die These der Vererbung mittels Genen, wobei er auch die unbewussten Instanzen Freuds und Jungs einbezieht. Zur Freudschen Topographie des Psychischen nimmt er wie folgt Stellung:

«Unseres Erachtens besteht ‚die Topik des Psychischen‘ einerseits in den Genen der Zellkerne, worin[einerseits]das kollektive und familiäre Unbewusste, die familiären Abwehrmechanismen und Spaltungsbereitschaften des unbewussten Ichs und des archaischen Erbteils  des Über-Ichs als Anlagen zu besonderen Funktionen lokalisiert werden; andererseits in den Zellen der Hirnrinde, wo die persönlichen Wahrnehmungen, Erlebnisse aufbewahrt werden. Das Wesen des Psychischen, also die Freiheit als Transzendenz, hat keine Topik.“

In Bezug auf die Einfügung von aktuellen Erfahrungen ins Erbgut, das heisst in die Gene, via einer Vorspeicherung im Gehirn, sind etliche verfahrenstechnische Lücken noch offen, denn die Übertragung der entsprechenden Informationen und die Implementierung in Gene ist alles andere als geklärt. Nur schon die Umformung von bioelektrischen Informationsimpulsen des Gehirns in Codierungsvorschriften der Gene zur Herstellung von speziellen Proteinen ist völlig unklar. Auch die seit über einem Jahrzehnt laufende Erforschung epigenetischer Aktivitäten am Gen ergab zwar interessante Perspektiven genetischer Funktionen aber nur in sozusagen negativer Form: epigenetische Mechanismen können durch umweltbedingte Anregungen die Arbeit von Genen ausschalten, programmieren – gemäss aktuellem Stand des Wissens – mutmasslich nichts Neues.

Bei C.G. Jung wird das Unbewusste zum „kollektiven Unbewussten“.

Das Unbewusste bei Jung, oder die von ihm als «objektive Psyche» bezeichnete Instanz ist diejenige, die wir mit Familienclans, Gruppen, Völkern und schliesslich der gesamten Menschheit teilen. (Vogel, 2008, S.27). Man kann beispielsweise davon ausgehen, dass kollektiv mindestens passiv mitgetragene Verbrechen wie das der Nazis an den Juden als Inhalte mittels «Gruppierung eines Komplexes» sich um einen archetypischen Kern ansammeln, der diesen Inhalten motivational am nächsten kommt; Inhalte die solcherart über Generationen und Generationen psychisch in allen denkbaren Ausprägungen und Erscheinungsformen wirksam bleiben werden.  

«Jung sieht im kollektiven Unbewussten eine nicht aus den individuellen Erfahrungen des Einzelmenschen hervorgegangene Tiefenschicht unserer Seele. Im Gegensatz zum persönlichen Unbewussten waren diese Schichten nie bewusst, werden eben deshalb auch nie vergessen oder verdrängt, sondern entstammen – nach Jung – der ‚vererbten Struktur des Gehirns‘». (Vogel, C.G. Jung für die Praxis, Kohlhammer 2008, S. 28) 

 

Noch einmal das Kosmische Unbewusste

Fassen wir das bisher zum Begriff «kosmisches Unbewusste» gesagte zusammen: Wir wissen, dass in Träumen Material verwendet wird, welches

–          weder als Erinnerung engrammatisch im Gehirn,

–          noch genetisch in der DNA

–          noch als aktuelles Wissen im Gedächtnis gespeichert ist.

Wie könnten sonst noch Erinnerung, Wissen, Ereignisse, traumatische Erlebnisse gespeichert werden? Dafür müssen wir das Unbewusste um die Qualität des kosmischen erweitern, denn wir bleiben damit in einem tiefenpsychologisch akzeptierten Speichermedium, nur eben um eine vierte Dimension neben dem persönlichen, familiären und kollektiven Aspekt erweitert. Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Inhalte des Unbewussten weder schichten- noch klümpchenweise neben- und übereinander hausen, sondern dass diese Inhalte – könnten wir sie denn irgendwie empfinden – für uns mutmasslich chaotisch wären und wahrscheinlich keine für uns ersichtliche «Ordnung» aufwiesen. Zwischen den gespeicherten Informationen im Unbewussten gibt es keine Distanzen, zeitlichen Folgen, keine Chronologie und keine Prioritäten, sondern höchstens Zugriffsregeln, die wir nicht kennen, die wir aber im Traum mit mehr oder weniger Erfolg benützen.

Qualität, Inhalt und Menge des kosmischen Unbewussten gehen weit über die «lokalen» Aspekte des Unbewussten eines einzelnen Menschen, einer Gruppe, eines Volkes hinaus.  Es speichert Informationen über und vom Menschen, seiner Aktivitäten, seiner Interaktion mit Natur und Welt, seiner Daseinsgestaltung seines geschichtlichen Werdens und Handelns. Wesentlich dabei ist, dass der gesamte Inhalt des kosmischen Unbewussten prinzipiell dem  Zugriff – und nicht nur dem traumhaften – aller Menschen offensteht. Dieses Unbewusste wiederum ist nicht biologisch an den Menschen gebunden.  Es existiert als kosmisches Energiefeld, dem sog. «Quantenvakuum», «ein feines, aber extrem dichtes, fluktuierendes Energiefeld, das den gesamten Raum erfüllt» (Ervin Laszlo, 2005). Ein Energiefeld, mit dem der Mensch sich in Interaktion befindet und das für uns die Qualität und Funktion eines kosmischen Unbewussten entfaltet. Diese Interaktion ist beileibe nicht auf Psychisches beschränkt, sondern umfasst – so meine These -alles künstlerische, kreative und innovative Schaffen der Menschen.

Alois Altenweger